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Mehr Nutzen als Schaden: Deutsche Aulandsinvestitionen

Köln, 20.03.2007 14:47 Uhr (redaktion)

Die deutsche Wirtschaft hat ihr Auslandsengagement in den vergangenen Jahren kräftig ausgeweitet. Zu den immer wichtigeren Investitionszielen gehören die EU-Länder Mittel- und Osteuropas. Oft wird vermutet, dass die in dortigen Tochterfirmen geschaffenen Stellen im Gegenzug hierzulande verloren gingen. Doch die Zahl der aus Kostengründen verlagerten Jobs ist recht gering – ein großer Teil der Direktinvestitionen dürfte hierzulande eher Arbeitsplätze gesichert haben.

Auch wenn der Begriff der Globalisierung in Stammtischdiskussionen meist als Schimpfwort benutzt wird – die in Deutschland beheimateten Unternehmen können gar nicht anders, als ihre Chancen auf den internationalen Märkten zu nutzen, wollen sie im weltweiten Rennen nicht ins Hintertreffen geraten. Dazu gehört auch, dass sich die Firmen in ausländische Betriebe einkaufen oder neue Niederlassungen jenseits der heimischen Grenzen gründen.

Der Bestand dieser Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft stieg dementsprechend von 116 Milliarden Euro im Jahr 1990 auf 677 Milliarden Euro in 2004. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigten die im Ausland ansässigen Unternehmen, an denen deutsche Firmen beteiligt waren, insgesamt etwa 4,6 Millionen Mitarbeiter und erwirtschafteten einen Umsatz von 1,4 Billionen Euro.

So imposant und erfreulich diese Zahlen klingen, so groß sind die Sorgen, die die Auslandsaktivitäten deutscher Unternehmen vielen Bürgern hierzulande machen. Nicht zuletzt wird den Direktinvestitionen und Produktionsverlagerungen oft die Schuld dafür gegeben, dass die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik auf weit mehr als 4 Millionen in die Höhe schnellte. Das Fazit scheint klar: Deutsche Firmen verlagern ihre Produktion ins kostengünstige Ausland und bauen hierzulande in großem Stil Jobs ab.

Doch ein näherer Blick auf die Statistik zeigt, dass die Sache so einfach nicht ist. Denn den größten Teil ihres Kapitals haben die Unternehmen gar nicht in Billiglohnländern, sondern in anderen Industriestaaten investiert (Grafik):

Direktinvestitionen
Deutsche Direktinvestitionen in Mrd. EUR (Zur Vergrößerung bitte auf das Bild klicken)

Im Jahr 2004 entfielen mehr als 520 Milliarden Euro und damit 77 Prozent der deutschen Direktinvestitionsbestände auf Engagements in den EU- 15-Staaten sowie in den USA.

Dagegen waren damals lediglich 6 Prozent der Auslandsinvestitionen von Firmen aus Deutschland in den zehn neuen mittel- und osteuropäischen EU-Ländern angelegt. Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass die Regionen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer als Investitionsziel in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten attraktiver geworden sind. Belief sich der Wert der dortigen deutschen Unternehmensbeteiligungen, Tochterfirmen etc. im Jahr 1990 gerade mal auf 0,3 Milliarden Euro, waren es 2004 bereits 41,4 Milliarden Euro. Noch etwas schneller kletterte die Zahl der Mitarbeiter in den Unternehmen mit deutscher Beteiligung (Grafik):

Direkinvestitionen Osteuropa
Direkinvestitionen Osteuropa

Die Zahl der Beschäftigten deutscher Firmentöchter in den zehn EU-Staaten Mittel- und Osteuropas erhöhte sich von 31.000 zu Beginn der neunziger Jahre auf 757.000 im Jahr 2004.

Damit waren zuletzt 16 Prozent aller Arbeitnehmer, die bei deutschen Tochterunternehmen im Ausland in Lohn und Brot standen, in Betrieben zwischen Tallinn und Sofia tätig. Ihr Auskommen fanden sie zum überwiegenden Teil in der Industrie. Mehr als die Hälfte ihrer Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa hatte die deutsche Wirtschaft bis 2004 in Uternehmen des Verarbeitenden Gewerbes gesteckt, welche zu diesem Zeitpunkt 466.000 Mitarbeiter zählten und einen Umsatz von 55 Milliarden Euro erwirtschafteten. Vor allem die Automobilindustrie ist in einigen Ländern inzwischen stark vertreten. Jeweils etwa ein weiteres Zehntel des deutschen Direktinvestitionsbestands in der Region entfiel auf die Energie- und Wasserversorgung, den Handel sowie den Bereich Verkehr und Telekommunikation.

Regionale Schwerpunkte des deutschen Engagements waren Tschechien und Ungarn, wo deutsche Firmen bis 2004 jeweils rund 12 Milliarden Euro investiert hatten. In Polen belief sich das Beteiligungskapital aus hiesigen Quellen immerhin auf 10 Milliarden Euro.

Um die Auswirkungen dieser Auslandsaktivitäten auf den deutschen Arbeitsmarkt beurteilen zu können, ist es wichtig, den Zweck der Direktinvestitionen zu kennen. Im Wesentlichen unterscheiden die Wirtschaftsforscher zwei Motive:

1. Markterschließung

Ein Beweggrund für Unternehmen, sich in Betriebe im Ausland einzukaufen oder dort neue Produktionsanlagen aufzubauen, besteht darin, Absatzmärkte zu sichern oder neu zu erobern. Dieses Motiv hat bei Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa merklich an Bedeutung gewonnen. Schließlich wachsen die dortigen Volkswirtschaften kräftig, so dass die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern steigt. Das eröffnet auch den deutschen Firmen die Chance, zusätzliche Kunden für ihre Erzeugnisse zu gewinnen. Dabei setzen die Unternehmen zunehmend auf Niederlassungen vor Ort, um auf die speziellen Produktwünsche der Verbraucher einzugehen, einen optimalen Kundenservice zu bieten sowie das erforderliche Marketing zu betreiben.

2. Kostensenkung

Dieses Motiv spielt typischerweise eine große Rolle, wenn Unternehmen aus einem hoch entwickelten Industriestaat in Firmen eines Schwellen- oder Entwicklungslandes investieren, um die niedrigeren Löhne bzw. Arbeitskosten auszunutzen. Durch die Auslagerung der kompletten Fertigung oder den Zukauf günstiger Komponenten kann das Unternehmen seine Waren auf den angestammten Märkten billiger anbieten und damit einen Wettbewerbsvorsprung erzielen.

Die Konsequenzen dieser verschiedenen Arten von Direktinvestitionen für die Beschäftigung in Deutschland sind unterschiedlich. Vor allem bei Projekten zur Markterschließung kann hierzulande durchaus eine positive Jobbilanz herausspringen. Gewinnt die Firma neue Kundenkreise in anderen Ländern, winken höhere Gewinne, mit denen auch im Inland zusätzliche Investitionen und Arbeitsplätze finanziert werden können. Demgegenüber können kostenorientierte Auslandsinvestitionen einen Stellenabbau im Inland nach sich ziehen. Eine solche bloße Verschiebung von Jobs dürfte vor allem dann stattfinden, wenn die Höhe der Arbeitskosten hierzulande keine rentable Herstellung mehr ermöglicht und – gerade bei einfacheren Fertigungsvorgängen – im Ausland ohne übermäßige Qualitätsverluste billiger produziert werden kann.

Über das Ausmaß dieser Jobverlagerungen gibt jedoch keine amtliche Statistik Auskunft. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat daher auf der Basis empirischer Daten eine eigene Berechnung durchgeführt, die sich auf die Auswirkungen der deutschen Investitionen in Mittel- und Osteuropa konzentriert. Das Ergebnis (Tableau):

Direktinvestitionen: Kein Jobkiller
Direktinvestitionen: Kein Jobkiller

Bis zum Jahr 2004 haben die deutschen Unternehmen nur 120.000 Arbeitsplätze aus Kostengründen in die mittel- und osteuropäischen EU-Länder verlagert.

Dass diese Zahl weit unter den insgesamt 757.000 Beschäftigten in dortigen deutschen Tochterfirmen liegt, hängt wiederum zum guten Teil mit den Investitionsmotiven zusammen. Aus den vorliegenden Zahlen und Unternehmensumfragen folgt, dass 70 Prozent der Direktinvestitionen aus Markterschließungs- und nur 30 Prozent aus Kostengründen getätigt werden. Das Engagement der deutschen Wirtschaft bei den östlichen Nachbarn gibt deshalb eher Anlass zur Freude als zur Sorge. Zwar ist der sechsstellige kostenbedingte Jobabbau kein Pappenstiel. Doch die Schuld an der langjährigen Arbeitsmarktmisere kann man den Investoren in Mittel- und Osteuropa sicher nicht in die Schuhe schieben.

© Institut der deutschen Wirtschaft Köln

 

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