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Interview zum Thema des Monats: Insolvenz und die Mechanismen

Nürnberg, 27.11.2007 10:52 Uhr (redaktion)

„Insolvenz“ ist ein Reizwort in unserem Wirtschaftsleben. Viele Unternehmen und Unternehmer befassen sich nur ungern mit dem Thema. Doch es zeigt sich, dass eine genaue Kenntnis der Mechanismen und Abläufe einer Insolvenz viele wirtschaftliche Optionen eröffnet, die man gemeinhin nicht mit dem Begriff verbindet. Wir befragten dazu Herrn Rechtsanwalt Rainer Schaaf, LL.M., spezialisiert auf insolvenznahe Transaktionsberatung.

Herr Schaaf, trotz anziehender Wirtschaftsentwicklung ist die Zahl der Insolvenzverfahren nach wie vor sehr hoch. Dabei wird Insolvenz üblicherweise gleichgesetzt mit Zerschlagung und Auflösung eines Unternehmens. Inwieweit ist diese Einschätzung auf Basis des deutschen Insolvenzrechts zutreffend?

Obwohl die Insolvenzordnung Möglichkeiten bereitstellt, ein Unternehmen zu sanieren, ist die Zerschlagung des insolventen Unternehmens leider der Regelfall. Insofern ist die Einschätzung traurigerweise zutreffend, was sicherlich zum einen daran liegt, dass etliche Insolvenzverwalter den einfacheren Weg der Zerschlagung bevorzugen, aber letztlich auch daran, dass viele Unternehmen – aufgrund sehr später Insolvenzantragstellung – das Potential zur Sanierung einfach nicht mehr haben.

Wie läuft grob skizziert eine Unternehmensinsolvenz ab?

Die Unternehmensinsolvenz beginnt naturgemäß mit der Antragstellung, welche in der Regel durch das insolvente Unternehmen selbst erfolgt. In den meisten Fällen wird dann vom Insolvenzgericht ein so genannter vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der noch nicht über die volle Verfügungsbefugnis wie der spätere, endgültige Insolvenzverwalter verfügt. Nachdem aber in der Regel Verfügungen nur noch mit seiner Zustimmung möglich sind, übernimmt er faktisch schon die Führung des insolventen Unternehmens. Das weitere Vorgehen des Insolvenzverwalters hängt dann natürlich ganz maßgeblich von der Branche und dem Tätigkeitsbereich des Unternehmens ab. Den meisten Verfahren gemein ist jedoch, dass der vorläufige Insolvenzverwalter bemüht sein wird, durch Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs so viel Vermögen zur Masse zu ziehen wie möglich. Dies wird ihm in der Regel dadurch erleichtert, dass die Mitarbeiter in dieser Phase Anspruch auf Insolvenzgeld haben, das von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt wird. Der Insolvenzgeldanspruch erstreckt sich auf drei Monate, allerdings inklusive der Zeit, in der das Unternehmen seine Mitarbeiter bereits nicht bezahlt hat.

In der Folge, das heißt spätestens nach Ablauf der dreimonatigen Insolvenzgelddauer, wird der vorläufige Insolvenzverwalter beim Insolvenzgericht anregen, das Verfahren zu eröffnen. Nach Eröffnung des Verfahrens ist dann der vorläufige Insolvenzverwalter in der Regel auch derjenige, der vom Insolvenzgericht zum endgültigen Insolvenzverwalter bestellt wird. Ab diesem Zeitpunkt geht die komplette Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Der Insolvenzverwalter wird in dieser Phase versuchen, sämtliche Vermögensgegenstände des Unternehmens zu verwerten, um mit dem Erlös hieraus die Ansprüche der Gläubiger so gut wie möglich zu befriedigen. In der Praxis ist leider, wenn überhaupt eine Quote ausgezahlt wird, nur mit kleinen einstelligen Prozentbeträgen der ursprünglichen Forderung zu rechnen. Wenn das Vermögen der Gesellschaft schließlich vollumfänglich verwertet wurde, wird es an die Gläubiger verteilt. Nach der sogenannten Schlussverteilung wird das Insolvenzverfahren aufgehoben und die Gesellschaft gelöscht.

Welche Möglichkeiten einer „Rettung“ beziehungsweise Sanierung eines Unternehmens in der Krise bietet das deutsche Insolvenzrecht?

Die Insolvenz bietet durchaus Möglichkeiten der Sanierung. Die aus meiner Sicht eleganteste Lösung, die aber am seltensten praktiziert wird, ist der so genannte Insolvenzplan. Damit kann verhindert werden, dass das Unternehmen am Ende des Insolvenzverfahrens mit der Löschung verschwindet. Letztlich ist der Insolvenzplan nichts anderes als ein großer Schuldenbereinigungsplan, welcher mit sämtlichen Gläubigern des Unternehmens unter der Kontrolle des Insolvenzverwalters und des Insolvenzgerichts geschlossen wird.

Als weitere Sanierungsmöglichkeit, gewissermaßen als Sanierung zweiter Klasse, wäre die so genannte übertragende Sanierung zu nennen. Dies ist letztlich ein Unternehmenskaufvertrag, bei dem mit dem Insolvenzverwalter vereinbart wird, bestimmte oder alle Vermögensgegenstände des insolventen Unternehmens zu erwerben. Der Charme dieser Möglichkeit liegt darin, dass zwar einerseits die werthaltigen Gegenstände, Kundenbeziehungen, Schutzrechte et cetera erworben werden können, andererseits aber größtenteils die Verbindlichkeiten im insolventen Unternehmen verbleiben. Häufig können mit diesem Instrument der Firmenname fortgeführt und etliche Arbeitsplätze gerettet werden.

Ihre Empfehlung, Herr Schaaf?

Generell sollte rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt werden. Zwar ist das Bedürfnis und das Bestreben der Unternehmen verständlich, sich gegen einen solchen Schritt möglichst lange zu wehren, gleichwohl bietet die frühzeitige Insolvenzantragsstellung die Möglichkeit, das komplette Sanierungspotential der Insolvenzordnung zu heben. So stellt die bereits skizzierte Phase der vorläufigen Insolvenz – das sogenannte Insolvenzeröffnungsverfahren – den ersten Baustein der Sanierung dar, weil aufgrund des gezahlten Insolvenzgeldes ein Unternehmen ohne Personalkosten eine Zeit lang fortgeführt werden kann. Des weiteren bestehen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Erleichterungen bei arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Kündigung, Sozialplan und Interessenausgleich.

Welche allgemeinen Ratschläge kann man dem Management eines Unternehmens in der Krise geben?

Besonders wichtig in der Krise ist es, rechtzeitig die eigene Situation einschätzen zu können. Insolvenzantragstellungspflicht, das heißt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, ergibt sich in der Regel nicht über Nacht. Meist gerät das Unternehmen bereits vorher in eine Krise. Krise bedeutet in dem Fall, dass das Unternehmen beispielsweise keinen Kredit zu marktüblichen Konditionen mehr aufnehmen kann. Bereits in dieser Phase ist besondere Vorsicht geboten, da Transaktionen, zum Beispiel Verkäufe von Aktiva der Gesellschaft, in einem später eröffneten Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter eventuell angefochten werden können.

Des weiteren ist es für den oder die Geschäftsführer von besonderer Bedeutung, sich über den jeweils aktuellen Liquiditäts- und Überschuldungsstatus zu informieren. In einer echten Krisensituation muss eine Tag genaue Betrachtung erfolgen, um zu verhindern, dass der Insolvenzantrag zu spät gestellt wird. Dies hätte eine zivilrechtliche Haftung oder eine strafrechtliche Verfolgung aller Geschäftsführer zur Folge. Im übrigen ist hier noch zu bemerken, dass eine Ressortaufteilung, beispielsweise die Aufteilung in einen technischen und einen kaufmännischen Bereich, in keiner Weise schützt. Hier sind alle Geschäftsführer – beziehungsweise bei Aktiengesellschaften die Vorstände – in der Pflicht.

Was muss der Vertragspartner eines in eine Krise geratenen Unternehmens beachten?

Grundsätzlich sollte man sich hinsichtlich seines Geschäftspartners möglichst umfangreich gegen insolvenzbedingte Ausfälle durch Bürgschaften oder sonstige Sicherheiten schützen. Dies ist in der Praxis nicht möglich, vor allem wenn man versucht, ein neues Geschäft zu generieren. Man kann im Vorfeld eigentlich nur die Augen offen halten, um Krisenindikatoren frühzeitig zu erkennen. Ein besonders häufig auftretendes Kennzeichen ist beispielsweise die Änderung der Kontonummer. In derartigen Fällen sollte darauf geachtet werden, dass möglichst keine langen Zahlungsziele mehr gewährt werden. Es ist dann durchaus ratsam, den Austausch auf Arbeitsebene zu pflegen. Sicherlich falsch wäre der pauschale Rat, sich sofort aus der Geschäftsbeziehung zurückzuziehen, da häufig zum Beispiel Lieferanten mit entsprechendem Augenmaß einen wertvollen Beitrag zur Sanierung eines Unternehmens oder gar zur Abwendung der Insolvenzantragsstellung leisten können. In einem derartigen Fall kann der Verzicht auf einen Teil der eigenen Forderungen das Schlimmste verhindern. Wichtig ist, dass man hierdurch nicht schlechter behandelt wird als andere Gläubiger. Dazu muss diese Vorgehensweise vom Schuldner mit einer gewissen Transparenz betrieben werden.

Kommt es dann doch zur Insolvenzeröffnung, gilt es natürlich die eigenen Forderungen zur Tabelle anzumelden und gegebenenfalls weitergehende Rechte wie zum Beispiel die Aus- oder Absonderung geltend zu machen. Diese Möglichkeit besteht dann, wenn Forderungen beispielsweise durch Eigentumsvorbehalt, Sicherungsübereignung oder Pfandrechte gesichert sind.

Herr Schaaf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Rainer Schaaf ist Rechtsanwalt bei der Rödl & Partner Nürnberg. rainer.schaaf@roedl.de

 

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