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Upgrade: Société Générale -Erkenntnisse nach Kerviels Verhöre

Köln/Paris, 24.01.2008 09:44 Uhr (reuters)

Die französische Großbank Societe Generale (SocGen) hat erstmals Einzelheiten des Milliardenbetrugs offen gelegt.

28.01.2008
In einer umfangreichen Erklärung beschrieb das Institut am Sonntagabend das Vorgehen ihres Mitarbeiters, der am Wochenende ein umfangreiches Geständnis vor der Polizei ablegte. Investment-Chef Jean Pierre Mustier bekräftigte, es habe sich um einen Einzeltäter gehandelt.

Den Angaben zufolge hat der beschuldigte Jeromie Kerviel in betrügerischer Weise Positionen im Wert von etwa 50 Milliarden Euro aufgebaut. Diese Positionen habe der 31-Jährige durch fiktive Transaktionen verborgen. Gleichzeitig seien die Kontrollmechanismen auf höchst komplizierte, aber effektive Weise umgangen worden. Unter anderem fälschte der Beschuldigte demnach Dokumente, um sein Vorgehen abzusichern.

Mustier sprach von "sehr einfachen Finanzinstrumenten", die Kerviel benutzt und dann mit den modernsten Möglichkeiten der Computertechnik abgeschirmt habe. Der Händler habe Hunderttausende verborgene Geschäfte abgewickelt und dafür Absicherungen vorgetäuscht, so dass Verluste dem Anschein nach ausgeglichen worden seien. Kerviel habe zuletzt verzweifelt versucht, seine Handlungen zu verschleiern und sich dabei immer tiefer hineingeritten, sagte Bankchef Daniel Bouton der Zeitung "Le Figaro" und nannte das Ganze eine "griechische Tragödie". Das zweitgrößte Geldhaus Frankreichs hat dadurch knapp fünf Milliarden Euro verloren.

Societe Generale entdeckte die betrügerischen Positionen den Angaben zufolge am Freitag, 18. Januar, und wickelte sie daraufhin am Montag, Dienstag und Mittwoch ab. An diesem Montag kam es in Europa zu einem Börsencrash, der erst durch eine überraschende und ungewöhnlich hohe Zinssenkung der US-Notenbank am Dienstag gebremst wurde. Mustier wies Vorwürfe zurück, die Abwicklung habe den Crash ausgelöst. "Wir sind nicht die Ursache, wir waren lediglich dazu gezwungen, dazu beizutragen", sagte er.

Die Polizei äußerte sich zufrieden über den Fortschritt ihrer Ermittlungen. "Die Untersuchung verläuft extrem fruchtbar", sagte Jean Michel Aldebert, Chef der Finanzabteilung bei der Pariser Staatsanwaltschaft. "Kerviel redet über die Dinge, die ihm vorgeworfen werden." Seinen Angaben zufolge muss der Aktienhändler mindestens bis Montag in Gewahrsam bleiben. Danach kann die Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen. Kerviel hatte sich am Samstag der Polizei gestellt.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" soll der junge Händler auch eine Riesenwette auf den Dax abgeschlossen haben. Demnach habe er zu Jahresbeginn schätzungsweise 140.000 sogenannte Dax-Futures gekauft. Wegen der jüngsten Talfahrt an den Börsen habe die Bank mit den Terminkontrakten aber massive Verluste eingefahren. Experten zufolge ist es völlig unverständlich, dass ein einzelner Mitarbeiter unentdeckt mit solchen Summen hantieren konnte.

27.01.2008
Nach Darstellung von der Société Générale hatte Kerviel Handelspositionen aufgebaut, die weit über sein erlaubtes Limit hinausgegangen seien. Diese wurden dann am Montag, als die Börsen weltweit abstürzten, mit massiven Verlusten geschlossen. Der Händler und seine Vorgesetzten wurden entlassen. Experten zufolge ist es völlig unverständlich, dass ein einzelner Mitarbeiter unentdeckt mit solchen Summen hantieren konnte.

Psyche, Regeln und Informationstechnologie

Banken haben interne Regeln aufgestellt, damit möglichst wenig Potenzial für Betrug oder Einflußnahme Einzelner oder Gruppen entsteht. Eine ist die "Chinese Wall" - Der Begriff wurde in den USA nach dem Börsenkrach von 1929 geprägt. Die US-Regierung sah die Notwendigkeit, eine Trennung oder Informationsbarriere zwischen Investmentbankern und Emissionsgeschäft zu errichten. Das Ziel bestand darin, den Interessenkonflikt zwischen einer objektiven Bewertung von Unternehmen und dem Wunsch, sie bei einem Börsengang zu begleiten, zu begrenzen. Der Begriff lehnt sich damit an die Chinesische Mauer als Sinnbild für Größe und Stärke und ihre Fähigkeit an, zwei Seiten voneinander wirkungsvoll zu trennen.

Auch heute noch ist es die Regel, dass alle Vorgänge eines Börsengangs einschließlich der Finanzanalyse und der Kurspflege von verschiedenen Abteilungen der gleichen Bank durchgeführt werden.

Positionskontrolle - Mache nie jemanden aus dem Backoffice zum Händler. Denn die Hinterzimmler in den Investmentbanken, die für die Abwicklung der Geschäfte zuständig sind, kennen die Computer-Systeme genau – und somit auch, wie man sie umgehen kann. Kerviel hatte im August 2000 in einem solchen Backoffice der Société Générale begonnen und so seine Grundausbildung für den künftigen Betrug erhalten. Auch Nick Leeson, der 1995 die britische Barings Bank mit waghalsigen Geschäften zu Fall brachte, startete in der Abwicklung.

Auszeiten.Einmal im Jahr sollte ein Händler für mindestens zwei Wochen ohne Vorankündigung in den Urlaub geschickt werden. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass illegale Transaktionen den Risikomanagern auffallen.

Um auf IT-Ebene zusätzliche Sicherungen einzubauen ist das Konzept "Mandatory Access Control (MAC)" geeignet. Dahinter verbirgt sich die Kontrolle und Steuerung von Zugriffsrechten. Vorteil: Die Entscheidung über Zugriffsberechtigungen werden nicht nur auf der Basis der Identität des Akteurs (Benutzers, Prozesses) und des Objektes (Die Ressource auf welche Zugegriffen werden möchte) gefällt, sondern aufgrund zusätzlicher Regeln und Eigenschaften (wie Kategorisierungen, Labels und Code-Wörter). Im Unterschied zu anderen Zugriffsmodellen wie DAC oder RBAC werden spezielle Funktionen in das IT-System und Anwendungsprogrammen eingearbeitet, welche den Zugriff, Benutzung und Konvertierung von Informationen nur unter den in dem jeweiligen Konzept geltenden Voraussetzung erlaubt.

Zu kompliziert

Experten werfen den Vorständen einiger Banken vor, dass sie die Finanz-Zusammenhänge und Finanzprodukte nicht mehr überschauen können. Sie wissen schlichtweg nicht mehr was da gehandelt wird. Zudem können einzelne Handlungen an der Börse zu Kettenreaktionen führen - so war es auch am "schwarzen Montag". Banken beobachten sich gegenseitig - was wird mit welchem Volumen gehandelt. Kommt es z.b. zu einem größeren Verkauf einer Tranche melden die Systeme der anderen Banken automatisch "Achtung". Zusätzlich existieren Limits - die z.b. Aktien automatisch verkaufen wenn eine Kurs-Untergrenze erreicht wird. Passiert das parallel bei mehreren Banken mit ensprechenden Volumen rasselt der Börsenkurs in den Keller. Leider gelten an der Börse wenig rationale Entscheidungen. Wenn sich Gier und Angst vermischen, entsteht eine labile Entscheidungsgrundlage.

So trägt letztlich der Mensch bei allen Hilfsmechanismen und Methoden die Verantwortung für sein Handeln.

26.01.2008
Im Zusammenhang mit dem Großbetrug bei der Société Générale hat die französische Finanzpolizei den Milliarden-Zocker Jérôme Kerviel vorläufig festgenommen. Der 31-Jährige sei in Gewahrsam, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP. Am Vortag waren nach Angaben der Staatsanwaltschaft der Hauptsitz von Société Générale in Paris sowie im Pariser Vorort Neuilly die Wohnung von Kerviel durchsucht worden, der bei eigenmächtigen Finanzgeschäften einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro verursacht haben soll. Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann ordnete einem Zeitungsbericht zufolge eine Überprüfung der Sicherheitssysteme seiner Bank an.

Die Pariser Finanzpolizei habe Kerviel in Gewahrsam genommen, verlautete aus Justizkreisen. Die Ermittler können den 31-Jährigen nun mindestens 24 Stunden, auf Veranlassung eines Staatsanwalts sogar bis zu 48 Stunden festhalten und ihn ohne Beisein eines Anwalts befragen. Zuvor hatte ein Großaufgebot von Sicherheitskräften am Sitz der Finanzpolizei in Paris eine einfahrende Wagenkolonne von Journalisten abgeschirmt.

Die Durchsuchung in der Zentrale von Société Générale habe das Ziel gehabt, Kerviels dortigen Computer sicherzustellen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Den Ermittlern seien freiwillig "einige für die Untersuchung wichtige Gegenstände" übergeben worden. Am Freitagnachmittag hatten die Ermittler laut Staatsanwaltschaft bereits die Wohnung Kerviels im Pariser Nobel-Vorort Neuilly-Sur-Seine durchsucht und sie laut Augenzeugen mit mehreren Koffern verlassen.

Als Reaktion auf das Milliarden-Desaster bei dem französischen Bankhaus veranlasste Deutsche Bank-Chef Ackermann offenbar eine sofortige Überprüfung der internen Sicherheitssysteme seiner Bank. Unmittelbar nachdem er von dem Skandal in Frankreich erfahren habe, habe Ackermann die zuständigen Stellen in seinem Haus angerufen, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung".

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, forderte schärfere interne Kontrollen der Banken. Aus dem Fall in Frankreich und anderen "Betrugsfällen in großem Stil" müsse die Lehre gezogen werden, dass eine Verschärfung der internen Kontrollen eine "absolute Notwendigkeit" sei, sagte Trichet dem französischen Fernsehsender LCI.

Kerviel soll laut einem "Spiegel"-Bericht auch eine gigantische Wette auf den deutschen Börsenindex Dax aufgebaut haben. Allein bei diesem Geschäft habe er vermutlich rund zwei Milliarden Euro Verlust eingefahren, berichtete das Magazin unter Berufung auf Insider.


25.01.2008

Die Financial Times Deutschland zitiert auf ihren Internetseiten: "Dieser Händler scheint mir nur ein Sündenbock zu sein", sagte ein Branchenkenner. Die französische Tageszeitung "Libération" fragte in einem Kommentar: "Ein Schuldiger wurde gefunden, doch wer sind die Verantwortlichen?" Nach der Version der Société Générale soll der 31-jährige Aktienhändler Jérôme Kerviel mit betrügerischen Scheingeschäften und Milliardenspekulationen der Bank einen Verlust von 4,9 Mrd. Euro zugefügt haben.

Viele Fachleute sind jedoch der Meinung, dass eine solche Summe nicht einer Einzelperson angelastet werden kann und stellen daher das Sicherheit- und Kontrollsystem in Fragen. "Diese Anomalie hätte doch auffallen müssen. Man muss sich fragen was die Hunderte von Kontrolleuren der Société Générale eigentlich machen", sagte Alain Crouzat, Präsident der Wertpapiergesellschaft Montségur Finance. Für Philippe Citerne, Vizechef der Société Générale, handelt es sich um einen "nicht zu erklärenden Akt der Böswilligkeit". Kerviel und bis zu fünf Manager wurden entlassen.

Nach Informationen der "Financial Times" heißt der Händler Jérôme Kerviel. Der 31-Jährige arbeitete im 19/64-Delta-One-Team. "Er ist keiner unserer Stars", hatte ein Vorstandsmitglied zuvor gesagt. "Er verdient weniger als 100.000 Euro im Jahr."

Kerviel hebelte offenbar alle Kontrollmechanismen aus, führte über ein Jahr fiktive Geschäfte zu seinen Gunsten - offenbar ohne sich daran zu bereichern. "Er wollte nur spielen", sagt ein Insider.

Für die Société Générale hat der Fall erhebliche Konsequenzen: Rund hundert Anleger verklagten die Großbank bereits wegen Betrugs. Rechtsanwalt Frederik-Karel Canoy, der die Kläger vertritt, sagt, seine Mandanten hätten auf einen Schlag "wahrscheinlich ihr gesamtes Geld verloren".

Bankenchef Daniel Bouton entschuldigte sich per Pressekonferenz bei allen Kunden. Er und der geschäftsführende Vorstand Philippe Citerne würden sich ihren Bonus für das vergangene Jahr nicht auszahlen lassen und "bis mindestens Juni" auf ihr Festgehalt verzichten. Nach Institutsangaben bot Bouton sogar seinen Rücktritt an, darf aber bleiben.

Die Unregelmäßigkeit werde negative Auswirkungen auf das Geschäft von 4,9 Milliarden Euro haben, teilte die zweitgrößte börsennotierte Bank Frankreichs am Donnerstag mit. SocGen werde den in Paris ansässigen Händler entlassen. Seine Vorgesetzten würden das Kreditinstitut ebenfalls verlassen.

Die Bank teilte zudem mit, ein Rücktrittsgesuch des Chefs Daniel Bouton abgelehnt zu haben. Ein Analyst sagte, er bezweifle, dass die Bank erst jetzt von dem Betrug erfahren haben will. "Ich finde es schwer zu verstehen, dass ein Händler in der Lage gewesen sein soll, ein 'geheimes Geschäft' von 4,9 Milliarden getätigt zu haben, ohne dass jemand davon gewusst hat", sagte Ion-Marc Valahu von der Amas-Bank in der Schweiz.

Darüber hinaus müsse das Geldhaus zusätzliche Abschreibungen von 2,05 Milliarden Euro im vierten Quartal vornehmen, die auf die Immobilienkrise zurückzuführen seien, teilte die Bank weiter mit. Über eine Kapitalerhöhung wolle die Bank 5,5 Milliarden Euro einnehmen, um die Kapitaldecke zu stärken. Für 2007 geht Societe Generale von einem Nettogewinn zwischen 0,6 und 0,8 Milliarden Euro aus. Großbanken weltweit haben derzeit mit milliardenschweren Abschreibungen angesichts der Auswirkungen der Hypotheken- und Kreditmarktkrise zu kämpfen.

Nach der Ankündigung von Societe Generale teilte die französische Bank BNP Paribas mit, dass sie keine außerordentlichen Verluste in ihrer Bilanz sehe.

 

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