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direktanlage.at - Marktkommentar von Wirtschaftsökonom Dr. Martin Hüfner

Salzburg/AT, 02.08.2008 10:27 Uhr (redaktion)

"Anleger und Vermögensverwalter sitzen auf Liquidität und warten auf den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg".

Am 4. September 1987 erhöhte die amerikanische Notenbank als Reaktion auf die zunehmende Geldentwertung den Diskontsatz von 5,5 auf 6%. Die Konjunktur hatte damals ihren Höhepunkt überschritten. Der Dollar neigte zur Schwäche. Sechs Wochen später kam es zu dem berühmten Schwarzen Montag mit einem Aktienkurseinbruch von 22% an einem Tag. Diesmal ist es nicht die Federal Reserve, die die Zinsen erhöht, sondern die Europäische Zentralbank. Sonst aber gibt es eine Reihe von Ähnlichkeiten. Am Aktienmarkt machen sich daher Ängste breit. Könnte es sein, dass es als Folge der EZB-Zinserhöhung zu einem Crash kommt?

Das gesamtwirtschaftliche Umfeld ist derzeit gemischt, freilich mit negativem Unterton. Die Inflation steigt (auf zuletzt 4% in der Eurozone). Was noch wichtiger ist: es erhöht sich die Erwartung weiterer Geldentwertung in den nächsten 12 Monaten. Die Angst geht um, dass es wie in früheren Zeiten einen größeren Schub von Inflation geben könnte. Zudem ist die Geldentwertung inzwischen ein weltweites Phänomen.

Nach Berechnungen der amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley gibt es gegenwärtig 50 Länder (mit einer Gesamtbevölkerung von über 3 Mrd), in denen die Preise mit zweistelliger Rate steigen. Andererseits ist positiv, dass die Zentralbanken beinahe weltweit sehr frühzeitig gegensteuern. Das ist neu und gibt Hoffnung, dass es nicht wie in früheren Jahren zu einem Überborden der Geldentwertung kommt. Interessant ist, dass die langfristigen Preiserwartungen nicht steigen. Auch die Renditen für ganz lang laufende Bonds (20 oder 30 Jahre) nehmen kaum zu. Die Anleger sind also langfristig optimistischer hinsichtlich der Inflation. Das ist positiv.

Die Ölpreise erhöhen sich trotz aller Nachrichten, dass die Ölförderung ausgeweitet wird und dass neue Ölfelder entdeckt (Brasilien) oder in Betrieb genommen werden (Irak).

Viele Beobachter haben das Gefühl, dass der Preisanstieg inzwischen überzogen ist. Aber niemand weiß natürlich, wann der „Markt kippt“.

Die hohen Preise dämpfen den privaten Konsum (zumal in Schwellenländern die Subventionierung der Benzinpreise abgebaut wird). Auf Dauer werden sich die hohen Preise in vermehrten Exporten in die Ölländer niederschlagen.

Die Konjunktur schwächt sich ab. Dabei verschiebt sich der regionale Fokus. Derzeit sieht es so aus, als ob die Amerikaner dank ihrer aktiven Fiskalpolitik vielleicht mit einem blauen Auge davonkommen könnten. Es wird dort keine Rezession geben, wohl aber eine längere Periode langsameren Wachstums. In Europa nehmen dagegen die Ängste vor einer stärkeren Abschwächung zu. Die wirtschaftliche Aktivität bewegt sich dank der vollen Auftragsbücher zwar noch auf einem vergleichsweise komfortablen Niveau. Die Aussichten werden aber schlechter. Die europäischen Finanzminister kümmern sich mehr darum, die Zentralbank an einer Zinserhöhung zu hindern als einen eigenen „Plan B“ zu entwickeln, wie die Konjunktur mit einem vorübergehenden deficit spending gestützt werden könnte. Das trägt nicht unbedingt zur Vertrauensbildung an den Märkten bei.

Bemerkenswert ist auch, dass aus den Schwellenländern nicht mehr so optimistische Töne zu hören sind. Die hohen Erwartungen der Chinesen an die Olympiade werden zurückgeschraubt. Offenbar werden weniger Besucher anreisen. Zudem werden umweltschädliche Produktionen eingeschränkt. Am wichtigsten ist, dass die steigende Inflation die Kaufkraft einschränkt. Die Aktienkurse sind in China in den letzten Monaten um mehr als 50% gefallen. Auch in Indien und in Brasilien gehen sie zurück. Das sind keine so guten Nachrichten.

Negativ ist auch, dass die Bankenkrise auf den Radarschirm zurückgekehrt ist. Die Risiko-spreads haben fast schon wieder das Niveau auf dem Höhepunkt der Krise Anfang März erreicht. Das ist nicht nur ein „Nachbeben“, wie es nach einem Erdbeben üblich ist. Es ist freilich auch keine systemische Krise mehr.

Es hängt damit zusammen, dass die Häuserpreise in den USA und in Teilen Europas mit unveränderter Geschwindigkeit zurückgehen. Es besteht die Gefahr, dass es auch im zweiten Quartal wieder größere Wertberichtigungen bei den Banken geben könnte. Betroffen sind davon nicht zuletzt viele kleinere Banken in den USA. Hinzu kommt, dass sich die Banken mit der Neuordnung ihrer Geschäftsmodelle als Reaktion auf die Krise offenbar schwerer tun als gedacht. Es gibt zwar Häuser, die sich von Teilen ihres Geschäfts trennen (zum Beispiel die amerikanische Citigroup). Das geschieht aber weniger zur Neupositionierung ihres Portfolios, als zur Erzielung von flüssigen Mitteln, um Löcher in der Bilanz zu stopfen. Auch die notwendige Konsolidierung im Bankensektor kommt nicht voran. Die Investoren sehen das. Sie sind daher zurückhaltend, den Banken neue Eigenmittel zur Verfügung zu stellen. Zudem weiß der Markt, dass die Zentralbanken nicht mehr so großzügig mit Liquidität sein werden. Das ist an sich nicht so gut. Andererseits erhöht es den Druck auf die Banken, schneller und entschlossener vorzugehen bei der Realisierung tragfähiger und für die Investoren attraktiver Geschäftsmodelle.

Vielfach werden die Gefahren, die aus all dem resultieren, mit dem Argument beiseite geschoben, die Bewertung der Aktien sei gut. Die Gewinne des nichtfinanziellen Sektors würden weiter steigen. Das stimmt aber nur, wenn man die gegenwärtigen Gewinnschätzungen zugrunde legt. Wenn sich die Konjunktur abschwächen sollte, dann sind auch an den Gewinnschätzungen Abstriche zu machen. Die Bewertung kann sich dann schnell verschlechtern. Hohe Dividendenrenditen sind immer nur dann interessant, wenn die Kurse nicht fallen.

All das sind keine richtig schlechten Nachrichten (zumal sich der Markt an vieles längst gewöhnt hat), aber eben auch nicht richtig gute, die den Markt stützen könnten. Es gibt freilich ein Argument, das gegen einen größeren Einbruch – so wie 1987 – spricht: Das ist die hohe Liquidität. 1987 wurde die Liquidität der Wirtschaft deutlich eingeengt. In den USA verringerte sich die Zunahme von MZM (= Money at zero maturity) von 18% zu Jahresbeginn 1987 auf 5% im Oktober. In diesem Jahr hat sich die Liquiditätsversorgung der Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa eher noch vergrößert. Überall sitzen Anleger und Vermögensverwalter auf Liquidität und warten auf den richtigen Zeitpunkt zum Einstieg in den Aktienmarkt. Keiner will aus dem Markt heraus. Das ist eine solide Stütze. Es macht mich optimistisch, dass es nicht zu dem großen Crash kommt. Es kann zwar in den Sommermonaten noch das eine oder andere „Loch“ geben. Es kann auch noch einige Zeit seitwärts bis nach unten gehen. Das es aber so richtig „kracht“, danach sieht es nicht aus.

Dr. Martin Hüfner war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank in München und der Deutschen Bank in Frankfurt. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die New York Times, das Wallstreet Journal oder die Financial Times.

 
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