Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG geht auf die aktuellen geopolitischen Situationen und auf deren Auswirkung hinsichtlich der Finanzmärkte ein. Das Praxismagazin für Finanzthemen Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.

 
 
01.09.2014 13:58 Uhr
WIRTSCHAFT UND REZESSION

Kapitalmarktexperte Robert Halver: Mit aller Kraft gegen die Rezession

FrankfurtMain/München, 01.09.2014 13:58 Uhr (Robert Halver)

Die euro­zo­nale Konjunktur verharrt in Moll-Stim­mung. Selbst die bishe­rige Konjunk­tur-Loko­mo­tive Deutsch­land hat an Zugkraft verloren. So trübte sich der ifo Geschäfts­kli­ma­index zum vierten Mal in Folge ein. Auch die Konjunk­tur­vi­sion der ifo Geschäfts­er­war­tungen signa­li­siert weniger Rücken­wind für die deut­sche Indus­trie.

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Halver Robert
Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Bereits seit 2012 berichtet er auf FMM-Magazin.de über die Geschehnisse an den Börsen. Baader betreut an den Börsenplätzen Frankfurt, München, Stuttgart, Düsseldorf und Berlin u.a. den Handel mit Aktien, Anleihen, Derivaten und Fonds.

Der im Zentrum der ifo-Befragung stehende deutsche Mittelstand fürchtet vor dem Hintergrund des geopolitischen Konflikts in der Ukraine eine gegenseitige Verschärfung der Wirtschaftssanktionen. Das Risiko, dass sich der russische Nebel der psychologischen Verunsicherung auch in allgemeiner Investitionszurückhaltung niederschlagen könnte, hat zugenommen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht bereits die Gefahr, dass Deutschland wieder in die Rezession abrutschen könnte.

Bislang war die Stimmung der deutschen Konsumenten eine sichere Bank für eine stabile deutsche Gesamtwirtschaft. Laut GfK legt sich jedoch insbesondere die Krise in der Ukraine wie Mehltau auf die hiesige Konsumentenpsychologie und sorgt für einen historisch beispiellosen Einbruch der deutschen Konjunkturerwartungen. Diese sind jedoch historisch regelmäßig sehr volatil ausgefallen. Dagegen robust fallen weiter der Subindex der Anschaffungsneigung und der Konsumklimaindex insgesamt aus. Insgesamt ist damit noch kein nachhaltiger Konsumeinbruch in Deutschland zu befürchten. Allerdings stellt die geopolitische Verunsicherung ein Abwärtsrisiko dar.

Geldpolitik - Nie war sie so wertvoll wie heute

Wenn selbst Deutschland als einer der wenigen Wachstumsinseln in der Eurozone an Zugkraft verliert, ist dies ein ernstes Alarmsignal für einen Rückfall der euroländischen Konjunktur in die Rezession. Die fallende Inflationsrate der Eurozone auf aktuell 0,3 Prozent liegt gefährlich nah an der Deflationsgrenze und auch die Inflationserwartungen in Euroland in den nächsten fünf Jahren sind weiterhin klar abwärts gerichtet. Sie liegen dramatisch unter dem Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Die Befürchtungen wachsen, dass die tatsächliche Inflation als sich selbst erfüllende Prophezeiung den Erwartungen folgt.

EZB-Chef Draghi hat die Gefahr einer Deflationsspirale zumindest in der Euro-Peripherie erkannt und auf der jährlichen Versammlung der Notenbanker in Jackson Hole, Wyoming mit selbst für ihn ungewöhnlich deutlichen Worten eine zukünftig noch offensivere liquiditätspolitische Ausrichtung der EZB angekündigt.

Die Macht geldpolitischer Worte

Indem er die Sparpolitik in Euroland kritisiert, begibt er sich selbst in die Rolle der letzten, konjunkturellen Rettungsinstanz. Das hierzu im Raum stehende Instrument sind Anleihenaufkäufe von Staatspapieren, aber auch von mit z.B. Immobilien besicherten privatwirtschaftlichen Anleihen.

In punkto Staatsanleihenaufkäufe reichen offensichtlich schon tendenziöse Worte Draghis aus, um eine Rallye über das gesamte Spektrum der Staatsanleihen der Eurozone zu initiieren. Ob Draghi dann tatsächlich noch agieren muss, wird sich zeigen. Seine Absicht ist aber klar: Die Anleiherenditen sollen so niedrig sein, dass sich die nationalen Finanzminister ohne hohe Zinskosten kräftig neuverschulden können, um der privatwirtschaftlichen Schwäche entgegenzuwirken. Bei einer derart künstlichen Konjunkturbefruchtung bei im Trend in der Eurozone weiter fallenden Staatsanleiherenditen ergibt sich ein Absurdum: Mit steigender Staatsverschuldung wird die Eurozone insgesamt dennoch immer besser in der Lage sein, das Maastricht-Kriterium von drei Prozent jährlichem Haushaltsdefizit zur Wirtschaftsleistung einzuhalten. Wir leben in verrückten Zeiten.

Wenn Geldpolitik Konjunkturpolitik betreiben muss

Die staatliche Konjunkturstimulierung der volkswirtschaftlichen Nachfrageseite mit geldpolitischer Rückendeckung hat allerdings ihren Preis. Sinken die Zinsen am Staatsanleihenmarkt weiter, führt dies zu einer weiteren Verflachung der Zinsstrukturkurven der Euro-Staaten. Nähern sich die Renditen länger laufender Staatsanleihen immer mehr den Notenbankzinsen an, verschlechtert dies das Investitionsklima. Für Banken ist es immer weniger interessant, Fristentransformation - bei der EZB Geld zinsgünstig aufnehmen und in Form von Krediten höherrentierlich ausleihen - zu betreiben. Die Begünstigung der Staatswirtschaft führt so zu einer Verdrängung, einem Crowding Out, der privaten Finanzierungen.

Bereits seit Jahresanfang ist in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien eine rasche Verflachung der Zinsstrukturkurven zu beobachten, die sich bei tatsächlichen Aufkäufen von Staatsanleihen noch verschärfen würde. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, könnte sich die EZB selbst auf dem aktuell tiefen Niveau zu erneuten Leitzinssenkungen auf Null gezwungen sehen.

Die EZB in den Fußstapfen der Fed

Zur Verhinderung von Crowding Out spricht zudem viel dafür, dass die EZB einen weiteren Schritt geht. Von Verantwortlichen der EZB wurde bereits mehrfach der Aufkauf mit Immobilien besicherter Anleihen - ABS - ins Spiel gebracht. Diesbezüglich hat man auch schon das entsprechende Know How großer Namen der Finanzindustrie genutzt. Die EZB griffe damit ähnlich wie die Fed massiv stützend in den Bereich privatwirtschaftlicher Finanzierungen ein: Der EZB geht es dabei auch darum, prekäre Kredite als Ballast aus den Bilanzen angeschlagener Euro-Banken zu entfernen, die diese an Neuausleihungen hindern.

Wie wichtig ein positives Investitionsklima für die volkswirtschaftliche Erholung ist, zeigen die USA. Während man in Euroland nach dem Platzen der Immobilienkrise und im Rahmen der Euro-Staatsschuldenkrise bei Hilfsmaßnahmen zögerlich war, haben die USA schon zu Beginn der Finanzkrise zügig mit einem massiven Doppelschlag aus staatlichen Konjunkturprogrammen und einer beispiellosen geldpolitischen Offensive reagiert. Die sich ab 2008 wieder zügig steil aufrichtende Zinsstrukturkurve hat bereits 2009 die konjunkturelle Stimmung dramatisch verbessert. Insofern wird Fed-Chefin Yellen auch keine massiven Notenbankzinssteigerungen riskieren. Selbst bei Annahme steigender US-Notenbankzinsen bis 1,75 Prozent und zunehmender Renditen bei 10-jährigen US-Staatsanleihen von etwa vier Prozent bis jeweils Ende 2016 bleibt die Zinsstrukturkurve konjunktur- und damit aktienfreundlich.

 

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