Europa Marktkommentar: Regierungsbildung in Deutschland und die Finanzmärkte
Frankfurt/Brüssel, 29.11.2017 09:48 Uhr (Gastautor)
Vielen Deutschen ist nicht bewusst, wie stark unsere europäischen Nachbarn an dem Thema Regierungsbildung interessiert sind. Die Wirtschaft und die Finanzmärkte benötigen Stabilität und Beständigkeit. Wie verzahnt sind der Euro und Angela Merkel?
Wie geht es mit der Regierungsbildung in Deutschland weiter? Vor allem ausserhalb Deutschlands schauen viele Marktteilnehmer zur Zeit in die deutschen Medien. Zwei Finanzexperten kommentieren die zähen Verhandlungen der Parteien im Deutschen Bundestag.
David Lafferty, Chief Market Strategist bei Natixis Investment Managers :Der bislang gescheiterte Versuch der CDU eine Regierung zu bilden, stellt keine europäische Krise dar: Es handelt sich hierbei vielmehr um ein weiteres Beispiel für die grundlegenden politischen Verschiebungen weg von den etablierten Parteien und hin zum Populismus. Jetzt zeigt sich auch für Merkel, dass die Verhältnisse keineswegs mehr so stabil sind.
Diese Entwicklung ist kein kurzfristiges Marktereignis. Der Euro hat sich bereits stabilisiert, und der DAX konnte sogar zulegen. Die langfristige Frage lautet vielmehr: Kann die EU den weiteren Integrationsprozess fortführen und ihre Institutionen weiterentwickeln, wenn Deutschland seine Führungsrolle vorläufig nicht mehr ausfüllt?
Nichts deutet darauf hin, dass Merkel ihren Führungsanspruch aufgibt. Deshalb werden die Parteien gezwungen sein, an den Verhandlungstisch zurückzukehren - oder es kommt zu Neuwahlen. Die europäische Wirtschaft gewinnt zwar gerade an Stärke, doch in Deutschland und in der gesamten EU gibt es noch viel zu tun. Merkel weiß, dass sie diesen Prozess mit einer Minderheitsregierung nicht voranbringen könnte. Mit Neuwahlen hat gewiss kaum einer gerechnet, doch möglicherweise steht sie bereits mit dem Rücken zur Wand.
Wahrscheinlich würde sich eine gescheiterte Regierungsbildung in erster Linie über die Wechselkurse auf die längerfristige Entwicklung in Europa auswirken. Ein höheres Wirtschaftswachstum und höhere Unternehmensgewinne werden den Aktienkursen Auftrieb geben. Durch das Festhalten der EZB an ihrem expansiven Kurs werden Zinsen und Anleiherenditen niedrig bleiben. Doch der Anstieg des Euro um 15 Prozent zwischen Januar und Anfang September hatte nichts mit Zinsdifferenzen oder der Zentralbankpolitik zu tun, sondern resultierte vor allem aus politischen Erfolgen der „etablierten“ Kräfte wie Macron und Merkel. Diese jüngsten Gewinne könnten gefährdet sein, wenn Merkel, das Zentrum der Euro-Stabilität, geschwächt wird.
Regierungsbildung - Europa könnte aus den Diskussionen verschwinden
Philippe Waechter, Chief Economist bei Natixis Asset Management:Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche steht Merkel nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Jetzt ist es an Frank-Walter Steinmeier, dem Bundespräsidenten, über die nächsten Schritte zu entscheiden. Dabei gibt es drei Optionen:
- Eine Koalition zwischen CDU/CSU und den Sozialdemokraten. Allerdings zögert die SPD, sich an einer solchen Koalition zu beteiligen.
- Eine Minderheitsregierung. Allerdings könnte dies zu einem Stillstand bei einigen sehr wichtigen Fragen führen, die eigentlich nicht aufschiebbar sind, und an denen auch die Sondierungen gescheitert sind, etwa die Themen Flüchtlinge, CO2-Emissionen, Steuern und Bildung.
- Neuwahlen
Europäische Fragen waren nicht im Zentrum. Doch zuletzt war Merkels Standpunkt eine Art Garantie, dass Europa nicht vergessen wird. Doch genau das droht in absehbarer Zeit: Europa könnte aus den Diskussionen verschwinden.
Zuletzt hat sich der Ausblick für Europa verbessert, vor allem aus zwei Gründen:
- Das BIP-Wachstum ist gestiegen, und die Beschäftigung nimmt rapide zu.
- Merkel und Macron haben sich verpflichtet, die Arbeitsweise der Institutionen auf europäischer Ebene zu verbessern.
Wie es in Deutschland politisch weitergeht, ist nicht nur für die Deutschen, sondern auch für die Europäer entscheidend.
Denn sollte die gegenwärtige wirtschaftliche Dynamik leiden, wäre dies Wasser auf die Mühlen der Populisten.
Auch die Brexit-Verhandlungsführer werden sehr genau beobachten, was passiert. Eine Stärkung der Populisten würde der britischen Regierung in die Hände spielen, da Populisten Europa nicht mögen. Das wäre die schlimmste Situation für einen Europäer.
(Quelle: Natixis Investment Managers versorgt umsichtige Anlagespezialisten mit erkenntnisreichen Einsichten zum Aufbau von Portfolios. Mit der Exptertise von 26 spezialisierten Investmentmanagern weltweit setzen wir Active Thinking℠ ein, um proaktive Lösungen zu liefern, die Kunden dabei helfen, bessere Ergebnisse in allen Märkten zu erzielen.)
Disclaimer
Veröffentlichungen und Mitteilungen über Finanzprodukte und Kapitalmarktanalysen dienen der Informationsgebung, entweder durch Dritte oder durch eigene Beschreibungen. Die hier aufgeführten Äußerungen, Analysen und Produktbewertungen sind ausschließlich Meinungen und Ansichten des Herausgebers bzw. Produktgebers. FMM-Magazin.de führt keine Finanzberatung durch, ruft nicht zum Erwerb oder zum Verkauf von Anlageprodukten oder Wertpapieren auf. Interessierte Anleger sollten sich grundsätzlich Emissions-/Produktprospekte genau anschauen. Die Aufsichtsbehörde für das Versicherungs- und Finanzwesen ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn.
Europa Politik Finanzen
* Bitte halten Sie sich an die Netikette und vermeiden persönliche Anschuldigungen, Beleidigungen und Ähnliches. Verbreiten Sie außerdem keine Unwahrheiten, Vermutungen, Gerüchte sowie rufschädigende oder firmeninterne Informationen. Beachten Sie die Rechte Anderer und urheberrechlich geschützter Quellen. Bei rechtlichen Verstößen haften Sie in vollem Umfang. Aus diesem Grund sind wir gezwungen, Ihre IP-Adresse und Ihren Provider zu speichern. Mit dem Speichern Ihres Kommentars erklären Sie sich mit diesen Regelungen einverstanden.
- BaFin ordnet Moratorium bei der North Channel Bank an
- EU schafft Regeln für autonomes Fahren und Fahrerassistenzsysteme
- Thema Insolvenz | Was bei einer Firmeninsolvenz zu beachten ist
- Robert Halver Corona Finanzjournal | Keine V-förmige Wirtschaftserholung
- KfW Corona Hilfe | Anträge für Hilfskredite an Unternehmen ab sofort möglich
Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.
Portalsystem 2024 © FSMedienberatung