Raus aus der Kompetenzfalle: Die Justiz gerät unter Druck, professionellere Kommunikation zu betreiben. Das Praxismagazin für Finanzthemen Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.

 
 
04.09.2010 10:05 Uhr
STUDIE ZUR RECHTSKOMMUNIKATION

Studie belegt der Justiz Defizite bei amtlicher Rechtskommunikation

Düsseldorf, 04.09.2010 10:05 Uhr (Wirtschaftsredaktion)

Raus aus der Kompe­tenz­falle: Die Justiz gerät unter Druck, profes­sio­nel­lere Kommu­ni­ka­tion zu betreiben. Eine neue Studie der Studie MHMK, Macro­media Hoch­schule für Medien und Kommu­ni­ka­tion München zum Stand der Rechts­kom­mu­ni­ka­tion Liti­ga­tion-PR belegt neues Selbst­be­wusst­sein der Staats­an­walt­schaften und zeigt zugleich extreme Defi­zite der amtli­chen Rechts­kom­mu­ni­ka­tion auf. Für die Studie wurde der Profes­sio­na­li­sie­rungs­grad bei über 600 Justiz­be­hörden und mehr als 400 Kanz­leien erhoben.

In Deutschland vergeht gegenwärtig kaum eine Woche ohne die Berichterstattung über einen großen Prozess. Mal geht es um Jörg Kachelmann, dann um die Brunner-Attentäter, um einen gefallenen Engel – oder um gestrandete Wirtschaftsführer und Politiker. Jeder dieser Prozesse erinnert in der medialen Massivität an die Schauprozesse früherer Zeiten, bei denen es um eine Art gesamtgesellschaftliche Wertversicherung und Läuterung ging.

Was als zufällige Ballung wirken könnte, hat eindeutig Methode. Das Interesse am Prozess der Wahrheitsfindung ist groß. So groß, dass viele Medien diesen Themen deutlich mehr Raum als früher geben. Denn an kaum einem anderen Ort ist die Diskrepanz zwischen großem Erfolg und tiefem Fall so deutlich spürbar wie im Gerichtssaal. Das betrifft vor allem Prominente. Andererseits ist das Gericht der Ort, wo moralische Empfindungen anbranden – wie im Fall Dominik Brunner. Deshalb ist die Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen auch nichts Neues im Journalismus. Und nicht selten haben große Journalisten ihre Karriere als Gerichtsreporter begonnen.

Neu ist indes die Rolle, die Staatsanwaltschaften und Gerichte im Prozess der öffentlichen Darstellung von Justiz und Rechtsprechung spielten. Standen früher die Angeklagten und einzelne Staranwälte im Mittelpunkt, so inszenieren sich heute zunehmend Staatsanwälte und sogar Richter in Ausübung ihres Amtes öffentlich. Da werden vorschnell die Namen von Verdächtigen veröffentlicht oder Wirtschaftsbosse vor laufender Kamera aus ihrem Eigenheim geholt. Solche Beispiele deuten auf ein gewandeltes Selbstverständnis von Staatanwaltschaften und Gerichten im Umgang mit der Öffentlichkeit an.

Diesen Wandel belegt auch eine neue Studie der MHMK, Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation München, die den Professionalisierungsgrad bei über 600 Justizbehörden und mehr als 400 Kanzleien erhoben hat. Dieser Untersuchung zufolge rüsten die Behörden und Kanzleien ihre Pressestellen massiv auf. Sie sind sich des wachsenden öffentlichen Drucks bewusst. Denn zeitgleich tritt eine neue Profession auf, die sich im Auftrag von Angeklagten um den Schutz ihrer Reputation kümmert: Berater für Litigation-PR, also Experten für die prozessbegleitende Pressearbeit.

Litigation-PR: Beeinflussung des Prozessausgangs?
Rund 50 Prozent der befragten Anwälte trauen ihr einen Einfluss auf den Prozessausgang zu – Richter und Staatsanwälte hingegen halten sie für unwichtig. Einig sind sich aber alle, dass Litigation-PR in den kommenden Jahren stark zunehmen wird. Und für diese Situation sind Gerichte und Staatsanwaltschaften bislang überhaupt nicht gerüstet. Über 40 Prozent geben der eigenen Kommunikationsarbeit gerade einmal die Schulnote „Befriedigend“, rund 20 Prozent lediglich „ausreichend“. Abhilfe könnten Weiterbildungen schaffen. Diese wünschen sich 67 Prozent der Befragten. Zwar gaben knapp 30 Prozent an, Mitarbeiter, die häufig mit der Presse arbeiten, würden geschult. Doch noch immer wird die Medienarbeit zu über 60 Prozent von Juristen ohne zusätzliche Kommunikationsausbildung verantwortet. Das dürfte sich bald ändern.

Doch es wäre zu kurz gegriffen, hinter der Ausbreitung professioneller Rechtskommunikation bei Anwälten, Staatsanwälten oder bei Gericht lediglich einen Verfall der Sitten zu diagnostizieren. Denn über 90 Prozent der Richter und Staatsanwälte sehen ihre zentrale Kommunikationsaufgabe darin, der Öffentlichkeit die Hintergründe komplexer juristischer Sachverhalte besser zu erläutern. Da werden mit einem Mal auch bekennende Gegner der Litigation-PR zu begeisterten Fans.

Prof. Dr. Lars Rademacher lehrt PR und Kommunikationsmanagement an der MHMK München und ist Mitveranstalter der Tagung „Litigation-PR: Alles was Recht ist“ am 16. September in München. Weitere Informationen unter www.mhmk.de/litigation.

(Quelle: Informationsdienst Wissenschaft)
(Foto: PIXELIO)

 

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