Viele Experten aus Wirtschaft und Forschung sehen die deutsche Wirtschaft in eine Rezession münden. DIW Präsident Prof. Marcel Fratzscher und The Economist analysieren die wahren Gegebenheiten. Das Praxismagazin für Finanzthemen Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.

 
 
02.09.2014 12:54 Uhr
KONJUNKTUR UND WIRTSCHAFT

Economist und DIW: Die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft

Düsseldorf, 02.09.2014 12:54 Uhr (Frank Schulz)

DIW Präsi­dent Marcel Fratz­scher redet in seinem neuen Buch "Die Deutsch­land-Illu­sion" Klar­text über die deut­sche Wirt­schaft. Der Econo­mist titelt in seiner neuesten Ausgabe: Deutsch­lands Wirt­schaft - Europas Motor gerät ins Stocken. Der Kapi­tal­markt­ex­perte Robert Halver sieht eben­falls Anzei­chen für einen Dämpfer. Was ist denn plötz­lich passiert?

Informationen zum Autor:
Herausgeber seit 2007 und Gründer von FMM-Magazin. Projekte in der Finanz-/Medienindustrie seit 2003 u.a. bei Gruner + Jahr (Financial Times Deutschland) und der OnVista Group. Editor von über 8.000 Fachartikeln zum Thema Finanzwissen, Nachhaltigkeit, Innovation und Wirtschaft.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) macht jüngst klar, dass Deutschland in eine Rezession abrutschen könnte. Die ifo Geschäftserwartungen zeigen eine Verschlechterung für die deutsche Industrie. Das Gesicht der Börse und Kapitalmarktexperte Robert Halver spricht in seiner Marktanalyse hier auf FMM-Magazin davon, dass "... sich der russische Nebel der psychologischen Verunsicherung auch in allgemeiner Investitionszurückhaltung niederschlagen zugenommen hat...". Zudem sieht Halver, dass "...sich ebenso laut GfK insbesondere die Krise in der Ukraine wie Mehltau auf die hiesige Konsumentenpsychologie legt und für einen historisch beispiellosen Einbruch der deutschen Konjunkturerwartungen sorgt."

Robert Halver: "Wenn selbst Deutschland als einer der wenigen Wachstumsinseln in der Eurozone an Zugkraft verliert, ist dies ein ernstes Alarmsignal für einen Rückfall der euroländischen Konjunktur in die Rezession. Die fallende Inflationsrate der Eurozone auf aktuell 0,3 Prozent liegt gefährlich nah an der Deflationsgrenze und auch die Inflationserwartungen in Euroland in den nächsten fünf Jahren sind weiterhin klar abwärtsgerichtet. Sie liegen dramatisch unter dem Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Die Befürchtungen wachsen, dass die tatsächliche Inflation als sich selbst erfüllende Prophezeiung den Erwartungen folgt."

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Berliner Think Tanks DIW macht in seinem aktuellen Statement klar: "Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal (2014) überraschend geschrumpft. Die Versuchung ist groß, den Russlandkonflikt dafür verantwortlich zu machen. Deutsche Exporte nach Russland und Osteuropa sind in den vergangenen Monaten gesunken. Der Umfang dieser Exporte ist jedoch, bezogen auf die gesamte Wirtschaft, vergleichsweise klein. Ihr Rückgang allein kann die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands nicht erklären, zumal sich die Exporte in andere Regionen gut entwickelt haben. Es ist vielmehr eine starke Unsicherheit, die deutsche Unternehmen in ihren Investitionen hemmt. Die deutsche Investitionsquote gehört schon seit Langem zu der niedrigsten aller Industrieländer. Die hohe Unsicherheit ist jedoch nicht durch den Russlandkonflikt verursacht worden. Hinter ihr steckt eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die ihren Ursprung in Deutschland und der Euro-Zone haben."

Euro-Zone lahmt nach wie vor

Professor Fratzscher weiter: "Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist zu einem erheblichen Teil durch die enttäuschende Entwicklung der Euro-Zone zu erklären. Auch wenn die deutsche Perspektive gerne auf die globale Wirtschaft gerichtet ist, so sollte uns bewusst sein, wie stark die deutsche Wirtschaft von der Euro-Zone abhängig ist. Deutschland wird nicht nachhaltig wachsen können ohne ein gesundes Wirtschaftswachstum in der gesamten Euro-Zone."

Fratzscher wird am 19. September 2014 sein Buch vorstellen. In der Headline ist zu lesen:

 

"Deutschland hat seit dem Jahr 2000 weniger Wachstum zu verzeichnen als andere europäische Staaten. Zwei von drei Arbeitnehmern sind heute schlechtergestellt als vor 15 Jahren."


 

The Economist betitelt: "Deutschlands Wirtschaft stottert, obwohl sie starke Grundlagen hat." Die neusten Zahlen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland sind ernüchternd. Einige Faktoren, darunter insbesondere das angespannte Verhältnis zu Russland, tragen dazu bei, dass sich Unsicherheit breitmacht. Ein schlechter Zeitpunkt: Denn steigen Gehälter und Investitionen in Deutschland nicht, ist das für die ganze Eurozone gefährlich, meint der Economist.

Aber die Deutschen, nicht ohne Stolz, sehen ihre Wirtschaft als stärkstes Pferd, um damit die Eurozone aus der Misere zu ziehen. Dann der Schock nach einem aktuellen Update in diesem Monat: Die gesamtwirtschaftliche reale Produktion ist im zweiten Quartal verglichen zum Ersten saisonbedingt um 0,2 Prozent gesunken. Eine Erklärung ist statistisch bedingt. Dank eines milden Winters war im ersten Quartal mehr Bautätigkeit als üblich. Aber geopolitische Krisen, vor allem in der Ukraine, hatte einen größeren Einfluss.

Deutsche Exporte nach Russland sind stark gesunken. Doch zu dem Zeitpunkt waren nicht die Sanktionen schuld, sondern die allgemeinen Erwartungen mehr zu exportieren. Russland macht nur 3 Prozent des gesamten Handels in Deutschland aus, also müssen die Verluste im Export an anderer Stelle gemacht worden sein. Verheerender sind zudem die steigenden Unsicherheiten von Managern gegenüber Russland, die Investitionen verzögern.

Deutschland wurde in den letzten Jahren häufig der Vorwurf gemacht, einen zu hohen Leistungsbilanzüberschuss auf Kosten anderer EU-Staaten zu haben. Gefordert wird daher, die Deutschen sollten mehr konsumieren, anstatt zu sparen, damit das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den EU-Staaten abnehme und nicht weiter wachse. Das Fazit: Der demografische Wandel wird weitreichende ökonomische Folgen mit sich bringen, die sich allerdings dem Erfahrungs- und Datenbereich für Deutschland entziehen. (Quelle: ZEW).

Professor Marcel Fratzscher vom DIW meint, die deutsche Wirtschaft und der Staat leben von ihrer Substanz. Er will in seinem Buch u.a. mit dem Irrglauben aufräumen, Deutschland käme ohne Europa besser zurecht.

Martin Hellwig, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. "Ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um Deutschland und den Euro! Fratzscher zeigt auf, dass die Euro-Rettungspolitik der letzten Jahre den Deutschen nicht von außen aufgedrückt, sondern maßgeblich von der deutschen Regierung mitgestaltet wurde. Auch geht es der deutschen Wirtschaft nicht so gut, wie viele meinen. Die Unternehmen investieren lieber im Ausland, die Infrastruktur verfällt, bei der Bildung wird gespart – und unsere Ersparnisse werden von den Banken schlecht angelegt. Wir leben von der Substanz.“


(Quellen: DIW, ZEW, The Economist, Robert Halver)

 

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